Bei den Häftlingen handelt es sich zu etwa 95 % um Männer; der Großteil der Gefangenen ist jünger als 50 Jahre. Allgemein wird aus dieser epidemiologischen Struktur eine geringere Krankheitshäufigkeit gefolgert. Dies ist jedoch ein Irrtum, denn die Lebensführung in Freiheit geht bei vielen Inhaftierten mit einem höheren gesundheitlichen Risiko einher.

Höhere Morbidität

Als Beispiel seien Mangelernährung und Übergewicht erwähnt, Alkohol- und Nikotinkonsum sowie  intravenöser Drogenkonsum. Ein Teil der Inhaftierten kommt aus sozial schwachen Gruppen mit geringeren oder keinen Versicherungsansprüchen und eingeschränkten Möglichkeiten der Früherkennung und Behandlung von Krankheiten. Der Kenntnisstand über gesundheitliche Fragen ist schlechter.

Inhaftierte mit relativ hohem sozialem Status haben dennoch eine höhere Morbidität. Unabhängig vom Delikt führen sie oft ein von besonderem Stress gekennzeichnetes Leben. Die Inhaftierung stellt eine Demaskierung und einen tiefen Einschnitt in ihrer Lebensgeschichte dar. Schicksalhafte Krankheiten stellen im Rahmen der Adoleszenz eine Belastung dar und begünstigen so das Entstehen dissozialen Verhaltens.

Während des Freiheitsentzuges unter reglementierten und fremdbestimmten Lebensbedingungen zeigen sich latent vorhandene psychische Erkrankungen. Zumindest entwickeln die Häftlinge häufig auffällige psychische und körperliche Symptome, die abklärungsbedürftig sind.

All dies bedeutet: Das Aufgabengebiet der Medizin im Strafvollzug ist bedeutend größer, als sich aus der Zahl der jeweils Inhaftierten ergibt. Sie sind zwar jünger als die Normalbevölkerung, jedoch in der Regel kränker als ein vergleichbares Kollektiv außerhalb der Haft.

Keine freie Arztwahl

Inhaftierte Personen haben – mit Ausnahme einer kleinen Gruppe von Gefangenen kurz vor der Entlassung – keine freie Arztwahl. Ärzte in Haftanstalten sind, vergleichbar dem Hausarzt, in besonderem Maße verantwortlich für die Gesundheit der Patienten. Das Nichtgewähren einer freien Arztwahl hat vielfältige nachvollziehbare Gründe. Angesichts dieser Sachlage sind hohe Anforderungen an die Qualität der Medizin zu stellen. Damit sind sowohl die technisch-apparative Ausrüstung gemeint als auch der Kenntnisstand der medizinisch Handelnden in theoretischer und praktischer Hinsicht. Die Medizin im Strafvollzug ist mit sämtlichen epidemiologisch zu erwartenden Krankheitsbildern konfrontiert.  

Schweigerecht /-pflicht

Der Grundsatz der Schweigepflicht gegenüber der Vollzugsbehörde ist in § 112 StVollzG NRW verankert. In diese Datenschutzregelung sind Psychologen, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter z.T. mit einbezogen.

Medizinische Schwerpunkte

Sicherheitsaspekte haben im Justizvollzug selbstverständlich einen sehr hohen Stellenwert. Entsprechend groß ist das Interesse, möglichst viele Krankheiten innerhalb der Mauern zu behandelt. Das schränkt die Möglichkeit zur Spezialisierung unter ökonomischen und fachlichen Gesichtspunkten ein. Es werden also prinzipiell alle Krankheiten im Vollzug behandelt, nötigenfalls in Zusammenarbeit mit zivilen Spezialeinrichtungen. Das Justizvollzugskrankenhaus hat eine Vielzahl von Kooperationsformen mit Anbietern außerhalb des Vollzuges, die ständig weiterentwickelt werden. Einzelheiten werden im Folgenden bei der Beschreibung unterschiedlicher Abteilungen deutlich.

Schwerpunktsetzungen ergeben sich aus dem Patientenkollektiv. Eine hohe Prävalenz besteht für die sog. Zivilisationskrankheiten, die mit Übergewicht, Hochdruck, Stoffwechselkrankheiten, Bronchitiden und peripheren Durchblutungsstörungen einhergehen. Infektiologie ist ein wichtiges Thema (HIV, Hepatitis, Tuberkulose). Viele Erkrankungen sind in ungewöhnlicher Weise verschleppt oder nicht ausreichend zu Ende behandelt. Dies macht einen Teil der chirurgischen Tätigkeit aus und führt u.a. zu einem besonderen Akzent auf dem Gebiet der septischen Chirurgie. Große Anforderungen an das Können stellt der Behandlungsauftrag, kranke Menschen in einer schwierigen persönlichen Lebenssituation und in einem gesellschaftlich besonders beachteten Umfeld fachlich gleichwertig (zur zivilen Medizin) zu behandeln. Zur vertiefenden Literatur empfehlen sich die Fachbücher „Gefängnismedizin“ 2009, (Thieme Verlag) und „Gesundheit und Haft“ 2014 (Pabst-Verlag).